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Breites gesellschaftliches Bündnis steht hinter dem Positionspapier „Solidarität in der Migrationsgesellschaft“

KOMMIT Bautzen, die LAG pokuBi Sachsen, der Sächsische Flüchtlingsrat, der Dachverband sächsischer Migrant*innenorganisationen, das Kulturbüro Sachsen, das Bündnis gegen Rassismus und 40 weitere Organisationen aus ganz Sachsen haben ein Positionspapier unterzeichnet, das als Ergebnis des Fachtages „Solidarität in der Migrationsgesellschaft“ im November 2022 in Bautzen entstand. Das Positionspapier enthält 10 Punkte, die auf die Situation geflüchteter Menschen in Sachsen Bezug nehmen und leitet daraus politische Forderungen ab. Am 20. März haben Vertreter*innen der unterzeichnenden Organisationen das Positionspapier bei der Landespressekonferenz in Dresden vorgestellt und die Fragen von Journalist*innen beantwortet. Der Termin wurde nicht zufällig gewählt. Am 20.3. beginnen die Internationalen Wochen gegen Rassismus. Zudem tritt am Abend der Kreistag des Landkreises Bautzen zum ersten Mal seit der Sitzung im Dezember 2022 zusammen. Bei der Sitzung verabschiedete die CDU-Fraktion gemeinsam mit der AfD einen Antrag, mit dem Menschen in Duldung Integrationsleistungen verweigert werden sollen. Mit seiner kurze Zeit später folgenden Weihnachtsansprache goss Landrat Witschas weiter Öl ins Feuer asylfeindlicher Hetze im Landkreis Bautzen und anderen Regionen Sachsens. Solche Aussagen lassen wir nicht unwidersprochen und setzen ihnen unser Positionspapier mit klaren Forderungen an die sächsische Landespolitik für eine veränderte Asylpolitik und einen Diskurs der Solidarität in der Migrationsgesellschaft entgegen.

Positionspapier „Solidarität in der Migrationsgesellschaft“

Sachsens bundesweiter Ruf steht dem eines weltoffenen Bundeslandes entgegen. Dennoch ist migrantisches Leben in Sachsen, wenn auch regional unterschiedlich ausgeprägt, längst Bestandteil des Alltags. Allerdings mangelt es an der Sichtbarkeit und Einflusssphäre der Migrant*innen im Freistaat. Seit 2015 wird zwar über das Leben von migrantischen Communities gesprochen, jedoch selten mit ihnen, sondern meist über deren Köpfe hinweg. Die sächsische Politik war bisher eher darauf bedacht, Ängste aus der Bevölkerung vor Migrant*innen ernst zu nehmen. Dabei sollten den Sorgen der Migrant*innen mehr Gehör verschafft und Unterstützende ernst genommen werden, die erneute „ausländerfeindliche Ausschreitungen“ wie in den Jahren 2015 und 2016 befürchten. Damals gab es hunderte Angriffe auf Unterkünfte für Geflüchtete [1].

In den vergangenen Monaten nahmen die rassistischen Proteste in Sachsen gegen die Unterbringung von Schutzsuchenden wieder zu. Dresden-Sporbitz, Bautzen, Chemnitz- Einsiedel, Naunhof, Laußig, Strelln oder Kriebethal waren zum Teil bundesweit in den Medien. Dabei wurde im März 2022 noch die neue Solidarität im Freistaat beklatscht, als Menschen für Ukrainer*innen ihre Wohnungen öffneten und sächsische Oberbürgermeister an der ukrainischen Grenze „Fluchthilfe“ leisteten. Etwa 60.000 Menschen aus der Ukraine wurden im letzten Jahr im Freistaat aufgenommen, der Großteil von ihnen im privaten Wohnraum, den die Bevölkerung zur Verfügung stellte. Außerdem wurden im Jahr 2022 insgesamt 12.224 Anträge auf Asyl in Sachsen gestellt. Die meisten von Menschen aus Syrien und Afghanistan, die auch vor Krieg oder dessen Folgen flohen, aber eine gänzlich andere Behandlung erfuhren.

Um den gesellschaftlichen Frieden zu erhalten, braucht es keine rassistischen Weihnachtsansprachen eines Bautzener Landrates. Um Ängste von Migrant*innen vor Gewalt und Ausgrenzung durch die Gesellschaft und Sorgen in der sächsischen Bevölkerung vor Migration abzubauen, brauchen wir Zusammenhalt. Wir brauchen mehr Solidarität sowohl der Migrant*innen untereinander als auch innerhalb der Zivilgesellschaft. Dies ist Grundvoraussetzung für einen Austausch zwischen allen im Freistaat lebenden Menschen, um Vorurteile, Hass und Gewalt weiter abzubauen.

Diese Bedarfe aufzuzeigen, Schlussfolgerungen zu ziehen und Forderungen an die sächsische Politik abzuleiten war die Intention unseres Fachtages „Solidarität in der Migrationsgesellschaft“ vergan- genen November in Bautzen. Die Diskussionen und Gespräche von 70 engagierten Migrant*innen und anderen zivilgesellschaftlichen Akteur*innen sind Grundlage unseres Positionspapiers, mit dem wir folgende Forderungen an die Landespolitik stellen wollen:

1. SOLIDARITÄT MIT ALLEN GEFLÜCHTETEN!

Alle Menschen, die vor Krieg, Elend und Verfolgung fliehen, haben den gleichen Schutz verdient. Gesicherter Aufenthalt, Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung und Arbeitsmarkt stehen den Ukrainer*innen zu, genauso wie den Menschen aus Syrien, Afghanistan und anderen Ländern. Gemeinsam müssen wir endlich aus den Fehlern der Integrationspolitik der letzten 30 Jahre lernen. Viele Engagierte, inklusive Menschen mit Migrationsgeschichte, zeigen schon lange, wie es zusammen funktionieren kann.

2. MENSCHENWÜRDIGE UNTERBRINGUNG MUSS ABSOLUTE PRIORITÄT HABEN!

Immer wieder zeigt sich in Regionen, die auf die Unterbringung in Wohnungen setzen: Das Ankommen funktioniert viel schneller! Ruhe, Privatsphäre und Selbstständigkeit sind Bedingungen, die nach der Flucht entscheidend sind, um Erlebtes zu verarbeiten. Gleichzeitig ist das Leben inmitten der Gesamtgesellschaft Voraussetzung dafür, in der Gemeinschaft vor Ort anzukommen und ihren Platz in der Gesellschaft zu finden. Auf der anderen Seite sind Massenunterkünfte Orte, in denen Frustration und Perspektivlosigkeit wachsen, wenn Menschen dort zu lange verharren müssen und keine Standards eingehalten werden.

3. ELEKTRONISCHE GESUNDHEITSKARTE FÜR ALLE ENDLICH EINFÜHREN!

Gesundheit ist ein Menschenrecht, weshalb alle Menschen den gleichen Zugang zu medizinischer Behandlung haben sollten. Noch immer entscheiden Behörden ohne medizinische Expertise in Sachsen darüber, ob und welche Geflüchteten eine Behandlung erhalten. Mit der elektronischen Gesundheits- karte können alle Geflüchteten Ärzt*innen selbst aufsuchen. Über die Behandlung sollten nur Mediziner*innen entscheiden dürfen.

4. DEUTSCHKURSE AB DEM ERSTEN TAG FÜR ALLE!

Das Erlernen der deutschen Sprache ist ein wichtiger Aspekt, der Menschen das Ankommen in Sachsen und umfassendere gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht. Alle Migrant*innen müssen vom ersten Tag an ein Recht auf Teil- nahme an Deutschkursen haben, unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus. Zu oft müssen Asylsuchende sehr lange auf einen Deutschkurs warten oder haben keinen Anspruch darauf. Wenn wir ihre Integration in die Gesellschaft und den Arbeitsmarkt wollen, dürfen wir hier niemanden ausschließen.

5. AUS DER AUSLÄNDERBEHÖRDE EINE WILLKOMMENSBEHÖRDE MACHEN!

Ausländerbehörden in Sachsen beraten oftmals nicht im Sinne der Migrant*innen. Der vorliegende Ermessensspielraum wird häufig genutzt, um eine Bleibeperspektive zu erschweren. Jahrelanger „Spießrutenlauf“ zu Behörden ist für viele Migrant*innen in Sachsen Alltag. Sprachbarrieren, lange Bearbeitungszeiten von Anträgen, Androhungen oder rassistische Vorfälle führen so zum Verlust des Vertrauens in deutsche Behörden.

6. DISKRIMINIERUNG UND RASSISMUS IN DER SCHULE ENTGEGENTRETEN!

Lehrkräfte und Erzieher*innen sind im Umgang mit Kindern aus Familien mit Migrationsgeschichte kaum geschult. Rassistische Vorurteile existieren damit auch in den Schulen, sowohl unter Kindern als auch unter den Lehrkräften. Entsprechend werden Kinder benachteiligt, als zweitklassig behandelt und durch Mitschüler*innen bedroht. Die Lösung ist nicht der Schulwechsel der Kinder, sondern ein Umdenken in den Schulen. Um adäquat mit Kindern aus Familien mit Migrationsgeschichte umgehen zu können, müssen Lehrer*innen und Erzieher*innen zu Themen Migration, Fluchtursachen, Rassismus und Diversität sensibilisiert werden.

7. ZUGANG ZUM ARBEITSMARKT ERLEICHTERN!

In Sachsen mangelt es in fast allen Regionen und Berufsgruppen an Arbeitskräften. Trotzdem dürfen viele Migrant*innen mit Berufsabschluss und – erfahrungen nicht arbeiten, weil die Möglichkeiten zur Erteilung einer Arbeits- erlaubnis nicht ausgeschöpft werden und ihre Berufsabschlüsse nicht anerkannt werden. Hier braucht es den politischen Willen sowie den Abbau von bürokratischen Hürden. Wir müssen die Fähigkeiten der Menschen, die schon bei uns sind, endlich nutzen.

8. ABBAU VON INSTITUTIONELLEM RASSISMUS – MEHRSPRACHIGKEIT IN BEHÖRDEN!

Häufig schildern Betroffene einen diskriminierenden Umgang, insbesondere Personen mit geringen Sprachkenntnissen. Dabei sollten mehrsprachige Anträge in Behörden, die nur Belange von Migrant*innen bearbeiten, eine Grundvoraussetzung sein. Auch die Diversität innerhalb der Behörden sollte deutlich erhöht werden. Gerade Mitarbeitende in der Beratung müssten zumindest in Englisch oder weiteren Fremdsprachen geschult sein. Alternativ braucht es kostenlose Optionen zur Übersetzung von Anliegen. Es wird Zeit für eine diversitätsorientierte und rassismuskritische Öffnung in unseren öffentlichen Einrichtungen.

Struktureller Rassismus zeigt sich auch im öffentlichen Raum, wenn beispielsweise Kräfte der Polizei anlasslose Kontrollen betreiben und Betroffene einzig aufgrund der Herkunft in der Öffentlichkeit diskriminieren. Zu diesem täglichen Vorgehen der Sicherheitskräfte braucht es eine breit geführte Debatte innerhalb der Polizei und der Politik, um weitere Vorfälle von „Racial profiling“ zu verhindern.

9. WAHLRECHT FÜR MIGRANT*INNEN!

Weil sie keinen deutschen Pass haben, durften bei der letzten Bundestagswahl zehn Millionen Menschen nicht wählen – das sind 14 Prozent der gesamten Bevölkerung! Dabei ist die Wahl von repräsenta- tiven Personen oder Organen elementarer Bestandteil aller Demokratien. Dieses Recht muss für alle Migrant*innen geschaffen werden, die seit fünf Jahren in Sachsen ihren Wohnsitz haben. Viele von Ihnen leben seit Jahren oder sogar Jahrzehnten in zweiter oder dritter Generation hier. Es muss eine Selbstverständlichkeit sein, dass sie als Teil der Gesellschaft auch Vertretungen für ihre politischen Interessen mitbestimmen dürfen.

10. MIGRATIONSBEIRÄTE IN GANZ SACHSEN!

Solange wir kein Wahlrecht für Alle und keine Repräsentation in Politik und Gesellschaft haben, brauchen wir in Sachsen eine flächendeckende Selbst- vertretung von Migrant*innen. Zur Förderung der Teilhabe an Gesellschaft und Politik fordern wir die Einsetzung von Migrationsbeiräten mit Antrags- und Rederecht in allen Landkreisen. Es braucht eine gesetzliche Grundlage, die für Landkreise und Kommunen ab 5.000 Einwohner*innen die Gründung von Migrationsbeiräten und auch deren Kompetenzen festlegt.

Ob Geflüchtete, Arbeitsmigrant*innen oder andere Gruppen, die in unser Land kommen, sie Alle haben einen menschenwürdigen Umgang verdient und sollten gleichberechtigt am Leben in unserer Gesellschaft teilhaben können. Ein Blick in die Geschichte zeigt, egal warum Menschen hierherkommen, sie bleiben oft, weil sie Arbeit finden, Familien gründen oder nicht in ihr Heimatland zurückkehren können – auch wenn sie es immer geplant haben. In der alten BRD sowie der ehemaligen DDR und genauso im wiedervereinigten Deutschland, war die Ausbeutung der Menschen als Arbeitskräfte das Haupt- interesse, aber eine tatsächliche Integration nie gewollt.

Seien es Gastarbeiter*innen im Westen oder ehemalige Vertragsarbeiter*innen im Osten, diese Menschen leben z.T. mehr als 40 Jahre in unserem Land, im Prinzip ihr gesamtes Erwachsenenleben lang, und gehen der Rente entgegen. Sie hatten häufig nie die Möglichkeit, auf ausreichendem Niveau die deutsche Sprache zu erlernen oder z.B. durch ein Wahlrecht gesellschaftliche Entschei- dungen mitgestalten zu können. Während ihre Kinder und Enkelkinder in Deutschland geboren sind und häufig die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, können sie selbst immer noch abgeschoben werden, wenn sie einen für die Bürokratie vermeintlich „falschen Schritt“ machen. Wir fordern die sächsische Landesregierung auf, aus dieser fehlgeschlagenen Migrationspolitik zu lernen und es besser zu machen!

[1] Allein im Jahr 2015 gab es 109 Angriffe auf Unterkünfte von Geflüchteten in Sachsen, Tagesspiegel vom 12. Februar 2016: https://www.tagesspiegel.de/politik/in-nrw-und-sachsen-gab-es-die-meisten-angriffe-auf-fluchtlingsheime-4872277.html

Das Positionspapier ist HIER zum Download erhältlich.

Unterzeichner*innen

  • Dachverband sächsischer Migrant*innenorganisationen e.V.
  • Sächsischer Flüchtlingsrat e.V.
  • Komitee der Migrantenselbstorganisationen im Landkreis Bautzen (KOMMIT)
  • Bündnis gegen Rassismus in Sachsen
  • Kulturbüro Sachsen e.V.
  • Landesarbeitsgemeinschaft politisch-kulturelle Bildung Sachsen e.V. (pokuBi)
  •  Frauenverein Nissaa e.V. Bautzen
  • Leuchtum Majak e.V. Bautzen
  • Neue Nachbarn e.V. Bischofswerda
  • Kurdische Gruppe Bautzen
  • Immigrant Network Hoyerswerda e.V.
  • „Hoyerswerda hilft mit Herz“ c/o RAA Hoyerswerda/Ostsachsen e.V.
  • die Initiative Zivilcourage Hoyerswerda
  • AG Asylsuchende SOE e.V. Pirna
  • Der Gruppe blickKONTAKT Wehrsdorf
  • RAA Sachsen e.V.
  • Antidiskriminierungsbüro Sachsen e. V.
  • Augen auf e.V.“ Löbau
  • Internationaler Bund, IB Mitte gGmbH, Soziale Arbeit Landkreis Bautzen
  • Willkommeninbautzen e.V. Bautzen
  • die RAA Hoyerswerda/Ostsachsen e.V.
  • colorido e. V. Plauen
  • Genderkompetenzzentrum Sachsen
  • Willkommen in Kamenz e.V.
  • Netzwerk Tolerantes Sachsen
  • Afropa e.V.
  • Deutsch-Russisches Kulturinstitut e.V.
  • djo – Deutsche Jugend in Europa Landesverband Sachsen e.V.
  • DOZ e.V.
  • Power4africa e.V.
  • Verband binationaler Familien und Partnerschaften, iaf e.V
  • BETESEB Äthiopier und Freunde Äthiopiens e.V.
  • Frauenförderwerk e.V.
  • Internationales Engagement Chemnitz e.V.
  • Iranischer Kulturverein Sachsen e.V.
  • Chinesisch-Deutsches Zentrum e.V.
  • Haytun – Armenischer Kulturverein Dresden e.V.
  • Weltclub – lokaler Verbund von Migrantenorganisationen e.V.
  • Ben Saxo e.V.
  • Salam e.V.
  • Ausländerrat Dresden e. V.
  • Afghanistan Forum in Deutschland e. V.
  • Arbeitsgemeinschaft Jugendfreizeitstätten (AGJF) Sachsen e.V.
  • Beratungsstelle für Erwerbslose Frauen Dresden

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